Zeitbrief Nr. 67

 


Willkommen beim 67. my_time Zeitbrief – Oktober 2005
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» Inhalt

» Editorial
» Zeitnotizen und -gedanken
» Der 1. Satz
» Wilde Blicke
» Gefangenes Denken
» Ausgequetscht
» Zeitgedicht
» Dichter zur Zeit
» my_time
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» Editorial

Der Goldene Oktober hat sich in diesem Jahr selbst übertroffen - man könnte meinen, wir hätten gar nicht gemerkt, daß es darüber schon lange November geworden ist.

Deshalb ganz schnell und schleunigst: hier ist der Oktober-Zeitbrief, diesmal mit einem schönen 1. Satz aus einem besonders schönen Buch.

Die Zeit der langen Leseabende, sie kommt bestimmt ...

Eine schöne Zeit bis zum nächsten -brief wünschen

Wolfgang Hamm, Anja und Hans D. Brandhoff
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» Zeitnotizen und -gedanken

'Das langsamste Volk wird all’ die schnellen, flüchtigen, einholen.'
(Friedrich Schiller)

'Eilen hilft nicht - zur rechten Zeit fortgehen ist die Hauptsache.'
(Jean de la Fontaine)

'Zeit ist, was geschieht, wenn sonst nichts geschieht.'
(Richard Feynman, Physiker)

'Aber alles im Leben ist nur für eine Spanne Zeit.'
(Theodor Storm)
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» Der 1. Satz – Buchanfänge

'Manuel sagte, wenn ich mich auf bestimmte Bedingungen einließe,
wollte er mir das Leben von Johanna von Kastilien erzählen, die ihren
Mann, Pilipp den Schönen, bis zum Wahnsinn liebte.'

(Gioconda Belli: Das Manuskript der Verführung)

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» Wilde Blicke

'Eindrucksvoll sind die Belege der wachsenden Wertschätzung, Insze-
nierung und Perfektionierung beschleunigten Tempos: Die preussische
Post verlieh dem pünktlichen Postillon die «Ehrenpeitsche», das schnell-
ste englische Schiff führte den «goldenen Hahn» im Masttop, und Graf
von Schlieffen strich im Zeichen einer militärischen Effizienzneurose
redundante Adjektive und überflüssige Personalpronomina aus den
Texten seiner Untergebenen.

Frederick W. Taylor gestand dem Arbeiter bei optimiertem Bewegungs-
ablauf immerhin noch ein Kontingent von 20 bis 30 Prozent unvermeid-
lichen Zeitverlustes zu, damit er ein heruntergefallenes Werkstück auf-
heben oder sich am Ohr kratzen könne.

Aber die Ideologie der Geschwindigkeit geht davon aus, dass alles
immer auch noch schneller geht. Sie rechtfertigte Studien über das
Spitzen von Bleistiften ebenso wie ein Preisausschreiben der Stadt
Hannover von 1931, das eine flotte Begleitmusik zur Beschleunigung
des Maschinenschreibens suchte.

Borscheids Geschichte der Beschleunigung ist, je weiter sie in die
Gegenwart vordringt, immer deutlicher auch eine Geschichte des
Verlusts nicht nur der Langsamkeit, sondern der Zeit selbst. Der
Diagnostiker registriert mit Sorgfalt Symptome der Beschleunigung
wie den Stossseufzer der Lady Knightley von 1860: «Die Hälfte der
Menschen, denen ich in der Eisenbahn begegne, haben etwas
Wildes im Blick.» Oder auch den kollektiven Schreikrampf der
- überforderten - Telefonistinnen einer von Siemens 1902 in Berlin
eröffneten Telefonzentrale.'

(Arndt Brendecke in einer Rezension des Buches von Peter Borscheid:
Das Tempo-Virus. Eine Kulturgeschichte der Beschleunigung.)

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» Gefangenes Denken

'Wohin geht die Gegenwart, wenn sie Vergangenheit wird, und wo ist
die Vergangenheit?” – Unter welchen Umständen kann uns diese Frage
bewegen? Denn unter gewissen Umständen kann sie es nicht und wir
würden sie als Unsinn beiseite schieben.

Es ist klar, daß sie dann am leichtesten in unserm Geiste auftauchen
wird, wenn uns beim Nachdenken über die Zeit das Bild des Kommens
und Gehens, des Vorüberfließens, gefangen hält; wenn wir in erster Linie
immer an Geschehnisse denken, in denen es ein solches Vorbeiziehen
wirklich gibt.

Wie etwa, wenn wir an einem Fluß stehen auf dem Holz geflößt wird:
die Stämme ziehen an uns vorüber; die, welche vorüber sind, sind alle
rechts von uns, die noch kommen, links. Wir gebrauchen diesen Vor-
gang nun als Gleichnis für alles Geschehen.

Ja das Gleichnis ist in die Ausdrücke unserer Sprache gelegt, denn wir
sagen, eine Krankheit ‚ zieht vorüber’, ‚es kommt ein Krieg’, etc.
Wir sprechen vom Lauf der Ereignisse, – aber auch vom Laufe der Zeit,
des Flusses, auf welchem die Stämme an uns vorbeiziehen. („die Zeit
ist da”, „die Zeit ist längst vorbei”, „es kommt die Zeit”, etc., etc.)

Und so kann mit dem Wort „Zeit” das Bild eines ätherischen Flusses
untrennbar verbunden sein, mit den Worten ‚Vergangenheit’ und
‚Zukunft’ das Bild von Gebieten, aus deren einem die Ereignisse in
das andre ziehen. U.s.f. („das Land” der Zukunft, der Vergangenheit.)
Und doch können wir natürlich keinen solchen Strom finden und keine
solchen Örter.

Unsere Sprache läßt Fragen zu, zu denen es keine Antwort gibt. Und
sie verleitet uns diese Fragen zu stellen durch die Bildhaftigkeit des
Ausdrucks. Eine Analogie hat unser Denken gefangen genommen
und schleppt es unwiderstehlich mit sich fort.'

(Ludwig Wittgenstein)
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» Ausgequetscht

'Für alles, was Knoblauch tut, setzt er enge Zeitlimits. Für jeden Brief,
jedes Gespräch, jeden Tagungspunkt auf einer Sitzung. "Ich quetsche
jede Minute aus", sagt er. Nichts soll ausufern. Färbt die Strenge im
Umgang mit der Zeit auch auf sein Privatleben ab?

"Ja, ja", sagt er arglos. Selbst Gespräche mit seiner Frau trägt er ins
Zeitplanbuch ein. "Sie würden sonst gar nicht stattfinden." Viel ist an
diesem Vormittag von Disziplin die Rede, kein einziges Mal von Lust.
Bleibt die Frage: Was fängt Jörg Knoblauch nur mit all seiner
gewonnenen Zeit an?'

(GEO über den Unternehmer Jörg Knoblauch)
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» Zeit-Gedicht

Wer seine Zeit in Zahlen mißt
der weiß es nicht - oder vergißt
daß Zeit schon lange wirksam war
bevor der Geist - die Uhr gebar

(Tumre; mit herzlichem Dank)
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» Dichter zur Zeit

'Die Vergangenheit ist eine versteinerte Stadt; - die Außen-Welt,
die Sonne, die Erde, das Tier- und Lebenreich stehen auf ewigem
Boden.

Aber die Gegenwart, gleichsam das durchsichtige Eisfeld zwischen
zwei Zeiten, zerfließt und gefrieret in gleichem Maße, und nichts
dauert an ihr als ihr ewiges Fliehen - Und die innere Welt, welche
die Zeiten schafft und vermißt, verdoppelt und beschleunigt sie
daher; in ihr ist nur das Werden, wie in der äußern das Sein nur
wird; Sterben, Leiden und Fühlen tragen in sich den Pulsschlag der
Schnelligkeit und des Ablaufs.'

(Jean Paul)
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» my_time

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