Zeitbrief Nr. 60

 


Willkommen beim 60. my_time Zeitbrief – März 2005
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zeitbrief@zeitbalance.de

» Inhalt

» Editorial
» Zeitnotizen und -gedanken
» Der 1. Satz
» Die Entdeckung der Zukunft
» Vom Kreis zum Pfeil
» Zeitgedicht
» Dichter zur Zeit
» my_time
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» Editorial

Mit dieser Ausgabe vollendet der Zeitbrief sein fünftes Jahr. Seit April
2000 sammeln wir monatlich all das, was uns rund um das Thema Zeit
auffällt. Wir nutzen sehr gern die Gelegenheit, uns bei Ihnen für Ihr
Interesse, Ihre Rückmeldungen und Anregungen herzlich zu bedanken!

Eine schöne Zeit bis zum nächsten -brief wünschen

Wolfgang Hamm, Anja und Hans D. Brandhoff
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» Zeitnotizen und -gedanken

'Je mehr Leere, je mehr Schnelligkeit.'
(Franz Werfel)

'Verschiebe nicht auf morgen, was genausogut auf übermorgen
verschoben werden kann.'
(Mark Twain)

'Nicht das Genie ist 100 Jahre seiner Zeit voraus, sondern
der Durchschnittsmensch ist um 100 Jahre hinter ihr zurück.'
(Robert Musil)
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» Der 1. Satz – Buchanfänge

'Otto Matuschewski hatte den größten Teil seines noch jungen Lebens
auf einem Oderkahn verbracht und schlief, selbst drei Jahre nachdem
seine Mutter ihn zu sich nach Berlin geholt hatte, ohne das Schaukeln
seines Bettes und das Glucksen des Wassers draußen an der Bord-
wand immer noch furchtbar schlecht.'
(Horst Bosetzky: Zwischen Kahn und Kohlenkeller)

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» Die Entdeckung der Zukunft

'Man könnte meinen, wie wir selbst, so hätten auch alle vergangenen
Generationen eine Zukunft vor sich gehabt, auf die sie hinlebten:
Mögen sie sich bei ihren konkreten Erwartungen auch häufig getäuscht
haben, so erwarteten sie doch immer irgendetwas.

Doch tatsächlich ist die Zukunft als Zeitraum der Geschichte erst spät
entdeckt worden. Zwar gab es schon immer zukünftige Ereignisse, die
die Menschen erwarteten, aber nicht immer gab es die Vorstellung von
einer homogenen, allmählich verfließenden Zeit, in der sich solche
Ereignisse vorausschauend ansiedeln ließen.

Und bei genauerer Analyse der mittelalterlichen Quellen ist oft sogar
zweifelhaft, ob es sich vor Beginn der Neuzeit tatsächlich schon um
"zukünftige" Ereignisse im modernen Sinne des Wortes "zukünftig"
handelte. Das klingt rätselhaft und ist es auch. Denn die Formen,
in denen sich die Menschen das zurecht legen, was wir heute als
"zukünftig" bezeichnen, sind zu verschiedenen Zeiten verschieden
gewesen. Sie sind auch heute noch für uns zu verworren, als daß
wir sie leicht verstehen könnten. Denn bislang hat sich die historische
Forschung noch kaum mit diesem Thema beschäftigt.

Jedenfalls ist die Vorstellung von der Zukunft als einem einheitlichen
geschichtlichen Zeitraum, gemessen am Alter der uns bekannten
Geschichte der Menschheit, noch relativ jung. Sie bildete sich erst
im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts in Westeuropa und hängt
eng mit dem neuzeitlichen Konzept der Geschichte zusammen,
welches die Geschichte erstmals als einen zusammenhängenden
Prozeß der Menschheitsentwicklung entworfen hat.

Gleichzeitig mit ihm ist es auch entstanden – allerdings von den
Zeitgenossen weitgehend unbemerkt: Denn es gibt niemanden,
der das Konzept der Zukunft erfunden oder entdeckt hätte.
Zu selbstverständlich sind den Menschen zu allen Zeiten ihre
Vorstellungen gewesen, als daß sie deren Wandel bewußt
registriert oder gar konzipiert hätten.'

(Lucian Hölscher: Die Entdeckung der Zukunft)
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» Vom Kreis zum Pfeil

'Das christliche Zeitverständnis beruht zum einen auf dem zyklischen
Konzept der Ewigkeit, die zwar unendlich ist, in der aber Gott ständig
gegenwärtig ist. Gott ist überall, zu allen Zeiten zugleich, er wird als
simultan zu allen Zeiten gesetzt. Die Zeit ist somit eine gottgegebene
Substanz der Natur und der Menschen.

Es ist daher Sünde, Zeit zu messen oder schlecht zu nutzen. Diese
substanzialistische Deutung der Zeit verhindert die Vorstellung, dass
von Menschen über Zeit "verfügt" werden kann, der wirtschaftliche
Gebrauch von Zeit ist konsequenterweise geächtet, das Zinsnehmen
und der Handel sind unstatthaft.

Im mittelalterlichen Europa hatte die Gegenwart keine Eigenständigkeit.
Es gab Geschichten, aber keine Geschichte. Die sozioökonomische
Organisation des Mittelalters beruhte dementsprechend auf der
Hauswirtschaft, wirtschaftliche waren von nicht-wirtschaftlichen
Aktivitäten nicht trennbar. Es gab keine Vorstellung, dass Arbeitszeit
von Lebens- und Freizeit zu unterscheiden sei.

Der Wandel der europäischen Gesellschaftsorganisation nach dem
13. Jahrhundert untergrub das auf Ewigkeit beruhende Zeitverständnis
des Mittelalters.

Das zweite christliche Zeitverständnis ist linear, ausgerichtet auf die
Erlösung. Mit Augustinus hielt die Vorstellung Einzug, Geschichte sei
ein Prozess. Dieses lineare Geschichtskonzept unterscheidet sich vom
zyklischen Denken der ewigen Wiederkehr.

Dem Heilsdenken folgend besteht Zeit nicht nur im Wechsel von
Frühling, Sommer, Herbst und Winter, sondern auch im Weg hin
zur eigenen Erlösung und der der ganzen Welt.

In der Erwartung von etwas grundlegend Anderem und Besserem,
das mit der Ankunft eines Messias verwirklicht wird, bekommt die
Geschichte ein klares Ziel und einen klaren Höhepunkt.

Dieses teleologische Weltbild wurde im 19. Jahrhundert mit
Begeisterung von nicht-religiösen Weltanschauungen,
insbesondere dem fortschrittsgläubigen Positivismus aufgegriffen.'

(Prof. Dr. Andreas Novy)
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» Zeit-Gedicht

Kindheit

Es wäre gut viel nachzudenken, um
von so Verlornem etwas auszusagen,
von jenen langen Kindheits-Nachmittagen,
die so nie wiederkamen – und warum?

Noch mahnt es uns -: vielleicht in einem Regnen,
aber wir wissen nicht mehr was das soll;
nie wieder war das Leben von Begegnen,
von Wiedersehn und Weitergehn so voll

wie damals, da uns nichts geschah als nur
was einem Ding geschieht und einem Tiere:
da lebten wir, wie Menschliches, das Ihre
und wurden bis zum Rande voll Figur.

Und wurden so vereinsamt wie ein Hirt
und so mit großen Fernen überladen
und wie von weit berufen und berührt

und langsam wie ein langer neuer Faden
in jene Bilder-Folgen eingeführt,
in welchen nun zu dauern uns verwirrt.

(Rainer Maria Rilke)
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» Dichter zur Zeit

'Rasch und langsam leben. Das eine heißt, das Leben genießen,
das zweite: sich die Gelegenheit zum Lebensgenuß erhalten, das
Mittel mit dem Zweck erkaufen.'

(Friedrich Hebbel)
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» my_time

Nächstes offenes Zeitbalance-Seminar: 8.-9. September 2005
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